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Wie unsere Autorin Annika Thomé in einem Heavy-Metal-Bootcamp landet

Es war ein Dienstag, Elternabend an der Schule, und ein guter Tag für meine Leber. Nicht, dass ich an dem Abend keinen Wein getrunken hätte. Nein, ich musste mir zuhause ein großes Glas einschenken. Denn ich hatte mich leichtfertig bereit erklärt, mit sechs anderen Müttern zu entgiften. Da wusste ich noch nichts von den 28 Tagen, die sich mit der WhatsApp-Gruppe „28 Day Cleanse“ vor mir auftaten. Acht und zwanzig. Vegan, roh, kein Salz, kein Zucker, Kein Kaffee, keine Fette. Wer tut sich so etwas an?

Die Anhänger eines Amerikaners, der aussieht, als würde er Staubsauger verkaufen. Anthony William aka Medical Medium hat 1,5 Millionen Follower auf Instagram, darunter Celebrities wie Pharrell Williams und Miranda Kerr. Sein Buch „Mediale Medizin“ verkauft sich wie geschnitten Brot. Das man natürlich nicht essen darf. Stattdessen schlürft man literweise Selleriesaft und vertilgt Planzen in rauen Mengen. Paramount auch der „Heavy Metal“-Smoothie, bei dem nicht gemosht, sondern die Leber gereinigt wird. Denn die ist für Heiler William das wichtigste Organ. Unser „War Horse“, das für uns bis zur Selbstaufgabe in jede Schlacht zieht – und kriegsentscheidend für unsere Gesundheit ist. Na dann: Gerstengras, Wildheidelbeeren, Lappentang (auch Dulse genannt), Spirulina und Koriander rein, Schwermetalle raus. Von Spirulina muss ich würgen. Ich besorge mir die Blaualge in Tablettenform. Und hänge bis Tag 4 wie eine andere Tablette müde auf dem Sofa. Aber ich schlafe wie ein Stein. Und dann, ab Tag 5, wache ich auf einmal früh auf – und fühle mich ausgeschlafen. Mein umnebeltes Hirn ist ganz klar. Ich bin nicht mehr das kopflose Huhn. Und erahne ansatzweise, dass ich keine Salzkartoffeln mit Quark brauche, sondern viel weniger, als bisher angenommen.

Paramount auch der „Heavy Metal“-Smoothie, bei dem nicht gemosht, sondern die Leber gereinigt wird.

An Tag 14 wache ich mit einem verquollenen Auge auf. Das sei das Lymphsystem, das jetzt Überstunden schiebt, beruhigt mich die Oberhexe aus der WhatsApp-Gruppe. Na gut, murrt mein hungriges Ich. Ich gehe joggen, um den Stausee am Auge loszuwerden. Die Gruppe ist das Beste an dem Heavy-Metal-Bootcamp. Eine gesteht: „Ich habe einen Löffel Linseneintopf gegessen“, die anderen erwidern: „You go, girl! Nimm noch einen!“ Ich löffele Cashew-Butter oder Avocados, wenn mir eine Laus über die urlaubende Leber gelaufen ist. Aber das ist okay. Brust und Visage sehen ganz schön ausgemergelt aus. Meine Haut dagegen: so fettig wie eine Sardine, obwohl ich kein Öl esse. Erstaunlich auch, was man alles roh verputzen kann. Rote Bete, Grünkohl, Pilze, Spargel, Kürbis, Zucchini, Aubergine… Eine Mitstreiterin hat jedem ein Logbuch gebastelt. „Alle mentalen Konflikte kommen von dem Unvermögen, loszulassen“, steht da an einem Tag. Ich lasse los. Nicht nur Kaffee und Chips. Sondern auch andere Sachen, die abhängig machen. Likes auf Instagram beispielsweise. Und als ich endlich wieder alles essen und trinken darf, ist es mir ein kleinwenig egaler, ob andere mich doof finden. Und ganz egal wie gesund Spirulina ist. Ich ess das Zeug nicht mehr.